Doppel-Interview zum Dauer-Duell: Olaf vs. Oli

Mannheim (sbs). Olaf Neuenfeld und Oli Lang sind die Mr. Faustball in ihren Ländern. Neuenfeld ist seit 2006 deutscher Bundestrainer, Lang ist in der Schweiz seit 2011 im Amt. Auf dem Feld sind sie Konkurrenten, privat sind beide befreundet. Über ihre WM-Ziele, die Hoffnung auf einen Schub für ihre Sportart und ihr Duell um die Tennis-Krone, sprechen sie in einem gemeinsamen Interview.

Lieber Olaf und lieber Oli, vor den Kadernominierungen habt ihr euch gegenseitig
Zettel mit den Namen der Spieler geschickt, die ihr im Team des jeweils anderen nominieren würdet. Wie viele Treffer hattet ihr?
Neuenfeld: „Ohne zu viel zu verraten würde ich sagen, dass ich es ganz gut getroffen habe (lacht).“
 
Lang: „Das war bei mir ähnlich. Über ein oder zwei Positionen kann man sicher diskutieren. Aber wir kennen die Teams und uns beide so lange, da weiß jeder vom anderen, wie er tickt.“
 
Wie würdet ihr die Teams des jeweils anderen charakterisieren?
Neuenfeld: „Die Schweiz ist eine Turniermannschaft, das hat sie in USA bei den World Games unter Beweis gestellt. Wenn die Jungs in ihr Spiel kommen, können sie jeden Gegner dieser Welt schlagen. Die Breite des Kaders ist eine Sache, aber die Fünf auf dem Platz sind absolute Klasse. Wenn Raphael Schlattinger einen Lauf hat und die Kompaktheit des Teams ins Spielen kommt, wird es schwer.“
 
Lang: „Die absolute Stärke der Deutschen ist: Sie haben keine Schwäche. Ehrlich gesagt wird mir in Deutschland etwas zu viel über Patrick Thomas gesprochen und vergessen wie gut die anderen sind. Dass er aktuell der beste Spieler der Welt ist, ist unbestritten. Aber Deutschland hat auch mit großem Abstand die beste Abwehr. Jonas Schröter und Fabian Sagstetter sind auf ihren Positionen ebenfalls die Besten der Welt. Ich denke auch an Nick Trinemeier vorne rechts, der macht einen Riesenjob.“ 
 
Ihr habt in den letzten zehn Jahren sechs Endspiele gegeneinander bestritten. Der Sieger hieß jedes Mal Deutschland. Oli, dein Ziel wird es sein, endlich mal ein Finale zu gewinnen?
Lang: „Auf die Frage habe ich gewartet (lacht). Natürlich ist es unser Ziel Weltmeister zu werden, das will jeder, der an einer WM teilnimmt. Aber wir müssen realistisch bleiben. Schau dir die letzten zehn Jahre und die Kader der einzelnen Länder an. Wir haben eine Drei-Klassen-Gesellschaft im Faustball. Deutschland ist schon allein aufgrund der Resultate die klare Nummer eins. Seit 2012 haben sie jedes Turnier gewonnen. Dahinter kommen die Schweiz, Österreich und Brasilien – eines der Teams wird es ins Endspiel schaffen.“

Lang: Deutschland wird zu 80 Prozent Weltmeister

Wie stehen eure Chancen?
Lang: „Der WM-Titel ist zu 80 Prozent für Deutschland abgestellt – einfach aus der Logik und der Geschichte der letzten zehn Jahre heraus. Und auch wenn wir immer Zweiter waren, so muss man sagen: Wir waren immer klarer Zweiter, bis auf eine Ausnahme bei den World Games in Polen, wo es knapp war. Unser Ziel ist, ins Endspiel zu kommen. Gegen Deutschland haben wir eine Chance von vielleicht 10, 20 Prozent. Aber klar, wenn wir das Finale erreichen, sage ich natürlich nicht: Ich will Zweiter werden. Dadurch, dass wir mit Deutschland in einer Gruppe spielen, wird es ziemlich sicher kein Halbfinal-Duell vorher geben, außer jemand patzt in der Vorrunde. Realistisch muss man sagen: Deutschland ist klarer Favorit, und ich denke, mittlerweile glaubt sogar Olaf das (lacht).“
 
Neuenfeld: „Da widerspreche ich dir natürlich, so klar verteilt sehe ich die Rollen nicht. Die zurückliegenden Duelle waren zum Teil sehr eng, unser Halbfinale in den USA gegen Österreich zum Beispiel, oder auch das Endspiel. Wir sind sicher der Favorit, und natürlich haben wir die größten Chancen auf den WM-Titel, aber wir haben als Gastgeber auch den größten Druck. Auch wir müssen die WM erst spielen, da helfen auch Statistiken nichts.“
 

Archivbild von 2017: Olaf Neuenfeld (v. r.) mit Schweiz-Coach Oliver Lang und DFBL-Präsidiumsmitglied Harald Muckenfuß.

 
Ist die psychische Komponente vielleicht der größte Gegner?
Neuenfeld: „Ich will nicht sagen, dass dies meine größte Sorge ist, aber tatsächlich ist das eine große Unbekannte. Welche Rolle die Psyche spielen kann, hat doch auch der letzte Bundesliga-Spieltag im Fußball und der Meisterkampf zwischen Dortmund und Bayern gezeigt. Das sind Profis und trotzdem zeigte Dortmund Nerven.  Eine Heim-WM in dieser Dimension hat von uns noch keiner erlebt. Da wird es Leute geben, die sagen: Ihr werdet eh Weltmeister und wir freuen uns schon auf die Siegerparty. Das müssen wir erst mal aushalten. Ich werde nicht müde, den Jungs immer wieder zu sagen, dass dies kein Selbstläufer wird.“
 
Spürst du besonderen Druck als Trainer?
Neuenfeld: „Seit dem Lehrgang in Mannheim und der Nominierung spüre ich definitiv einen höheren Druck. Das ist ein Druck, den ich mir selbst auferlege und ist mit nichts in den letzten 18 Jahren zu vergleichen. So wird es den Spielern auch gehen. Ich habe eine Heim-WM hinter mir, da war ich als junger Trainer aber in einigen Dingen etwas blauäugig. Wir haben viele Fehler gemacht und wollen daraus lernen.“
 
Warum ist Deutschland so dominant?
Lang: „In Deutschland wird sehr gut gearbeitet, dazu kommt eine Breite an Spielern, die wir in der Schweiz nicht aufbieten können. Ich will das mal am Beispiel der Brettorfer Mannschaft verdeutlichen: Das sind alles super Typen. Die kenne ich, weil sie gerne in die Schweiz zu Turnieren kommen. Jeder von denen wäre bei mir im Kader. In Deutschland werden sie nicht mal zum Nationalmannschafts-Lehrgang eingeladen. Olaf hat so viele gute Spieler. Kevin Schmalbach beispielsweise wäre in der Schweiz für die WM auf der Mitte gesetzt, aber Deutschland hat eben zwei noch bessere. Was soll Olaf machen? Er muss den drittbesten Spieler leider zu Hause lassen. Dazu kommt natürlich auch die Einstellung zum Sport.“

Neuenfeld regt Jobtausch an

Was meinst du damit?
Lang: „Diese Bereitschaft, alles zu tun für den Sport. Wenn Fabi Sagstetter mir vor WM in Winterthur erzählt, dass er 60 Tage vor dem Start jeden Tag mit dem Ball trainiert hat, dann habe ich keinen Spieler, der bereit wäre, das genauso zu machen. Auch einen Patrick Thomas haben wir nicht. Ich will nicht ausschließen, dass wir einen solchen Ausnahmespieler irgendwann bekommen. Im Tennis gab es Roger Federer, der zufällig Schweizer war. Aber die Chance, dass Deutschland einen Roger Federer hat, ist einfach zehnmal größer.“
 
Neuenfeld: „Oli, dann müssen wir mal tauschen. Du trainierst ein Jahr meine Mannschaft und ich deine. Dann schauen wir mal, wer gewinnt und woran es wirklich liegt.“
 
Lang: „Ich glaube nicht, dass du das ein Jahr aushalten würdest. Vielleicht ist das aber eine gute Idee. Wobei wir aufpassen müssen. Wenn wir zwei tauschen, dann gewinnt auf einmal Österreich. (lacht)“
 
Die WM in Deutschland soll der Sportart einen Schub verleihen? Kann das gelingen?
Neuenfeld: „Für Deutschland ist das eine riesige und einmalige Chance. Wir haben die Möglichkeit, auf uns und unsere Sportart aufmerksam zu machen. Gerade die Finalspiele in der SAP Arena sind etwas Einmaliges und locken hoffentlich viele Faustballer und Faustballinteressierte nach Mannheim. Wenn wir aber in zwei Jahren immer noch dort stehen, wo wir jetzt stehen, und nicht mehr Faustballspielende Kinder und Jugendliche haben, brauchen wir keine solche WM mehr auszurichten.“
 
Lang: „Wir standen vor unserer WM in Winterthur 2019 am gleichen Punkt. Wir waren voller Euphorie und ich habe gefühlt wie Olaf.  Der Effekt blieb in der Schweiz allerdings aus. Man muss es leider sagen: Die Zahlen sind rückläufig, der Nachwuchs fehlt und Frauenfaustball gibt es kaum noch. Wir sind effektiv am Aussterben. Ich wünsche es mir sehr, dass Olaf recht behält und wir wieder mehr Zuschauer gewinnen. Wir Faustballer sind eine große Familie und die große Öffentlichkeit nimmt nicht daran teil. Das ändert sich hoffentlich.“
 
Wisst ihr noch, wann ihr zum ersten Mal aufeinandergetroffen seid?
Neuenfeld: „Ich meine das war 1995 beim Europapokal in Hannover und wir haben im Halbfinale gegeneinander gespielt.“
 
Lang: „Gesehen habe ich dich aber schon früher beim Deutschen Turnfest in Bochum 1990, wo ich als 15-Jähriger dabei war. Olaf hat aktiv gespielt und ist mir dort schon aufgefallen (lacht). Das sind bald 30 Jahre, die wir uns kennen. Aber unsere Freundschaft ist erst entstanden, als ich Teamchef wurde und Olaf während seiner Geschäftsreisen ab und an bei uns gewohnt hat. Für meine Kinder ist Olaf fast wie ein Patenonkel. Sie sind immer noch Fan von ihm.“
 
Schafft ihr es, bei privaten Treffen auch mal nicht über Faustball zu sprechen?
Neuenfeld: „Schwierig…. (Pause) Oder?“
 
Lang: „Das liegt aber vor allem an Olaf. Ich hätte eher mal Themen, aber Olaf ist sehr faustballfixiert, ab und zu sprechen wir dann über Fußball, sein zweites Lieblingsthema (beide lachen). Im Ernst, wir können schon über den Tellerrand hinausblicken und führen gute Gespräche.“
 
Was waren eure einschneidende Erlebnisse?
Neuenfeld: „Viele Duelle auf dem Faustballplatz, manche waren eng und nervenaufreibend. Dazu kommen viele schöne Besuche und unsere Tennismatches. Da sehe ich aber meist nicht gut aus.“
 
Lang: „Ich gönne Olaf seine Erfolge im Faustball, auch wenn ich selbst gerne mal Weltmeister werden würde, aber wenn wir beide einen anderen Sport ausüben, dann wird’s für ihn schwer gegen mich. Such mal eine Sportart, in der du gegen mich gewinnst, außer Faustball.“
 
Neuenfeld (lacht): „Dann fordere ich dich hiermit zu einem Re-Match auf – egal ob bei dir oder bei mir!“
 
Ihr lebt die Werte des Faustballs vor. Auf der einen Seite seid ihr sportliche Rivalen, abseits des Feldes pflegt ihr eine Freundschaft.
Lang: „Ein Murat Yakin und Hansi Flick würden privat wohl eher nicht beieinander übernachten und mit den Kindern spielen, wenn sie sich treffen. Das war uns immer wichtig und ist sicher etwas Besonderes, dass dies trotz aller Rivalität im Faustball möglich ist. Dass die vielleicht erfolgreichsten Trainer der letzten zehn Jahre so miteinander befreundet sein können, ist sicher einzigartig. Im Spiel werfen wir uns schon mal böse Blicke zu. Aber danach haben wir uns noch immer die Hand gegeben.“
 
Olaf, in deinem Fall steht fest: Du bleibst nach der WM Bundestrainer. Oli, du bist aktuell in einer Doppelrolle auch Trainer der Schweizer Frauen, trainierst deine Töchter. Wie geht’s bei dir weiter nach der WM?
Lang: „Komplizierte Frage. Grundsätzlich wollte ich aufhören. Aber wir finden in der Schweiz einfach kaum Trainer. Es war schon schwierig, jemanden für die U21 zu finden und wir hatten niemanden für Damen. Daher habe ich diese Doppelrolle angenommen und werde auch mit den Damen zur EM fahren. Mit dem Chef Leistungssport ist vereinbart, dass er einen Bundestrainer oder Bundestrainerin sucht. Sollte ein Posten unbesetzt bleiben, übernehme ich diesen. Die Chance, dass man mich noch weitersieht, ist daher groß, ich aber kann nicht sagen, in welcher Position. Aber ich muss nicht bis 60 Nationaltrainer sein.“ 
 
Olaf, du bist in Schneverdingen auch in den Frauen-Faustball involviert, hilfst dort aus. Wäre das auch eine Option für dich?
Neuenfeld: „Dauerhaft eher nicht. Ich kann mal ein Training leiten oder Tipps im Spiel geben, aber für ein längerfristiges Engagement sind meine Ansprüche wahrscheinlich zu hoch.“
 
Wir würdet ihr den jeweils anderen charakterisieren?
Neuenfeld: „Oli ist emotional, ein absoluter Vollblut-Faustballer und Fachmann. Wenn alle diesen Ehrgeiz hätten, hätte unsere Sportart ein höheres Niveau. Oli ist ein streitbarer Typ, aber das bin ich auch. Wahrscheinlich muss man das als Nationaltrainer auch sein. Denn wir müssen manchmal unbequeme Entscheidungen treffen, auf dem Feld wie auch personell. Oli besitzt eine klare Ansprache, das braucht es, um Erfolg zu haben.“
 
Lang: „Ich bin tatsächlich sehr emotional. Das ist nicht immer so gewollt, das kann ich manchmal schwer steuern. Ich bewundere daher Olaf umso mehr, dass er in heiklen Situationen ruhig bleibt. Ich habe während eines Spiels schon so manches Mal gedacht: Das kann doch nicht sein, der steht da so still und vorne geht die Post ab. Olaf ist sehr überlegt, trifft daher gute Entscheidungen. Was Olaf viel besser macht als wahrscheinlich alle anderen Trainer auf der Welt, ist seine akribische Vorbereitung.“
 
Was meinst du damit?
Lang Er weiß von jedem Spieler, wohin er schlägt und was die Gegner machen. Darum hat er wohl auch immer einen Plan. Ich bin überzeugt, er investiert mehr Zeit als wir alle zusammen, vielleicht ist auch das der Schlüssel zum Erfolg. Das ist sicher meine größte Schwäche, mich interessieren Statistiken nicht so, ich bin eher ein Instinkttyp.“
 
Neuenfeld: „Ich analysiere im Nachgang die Spiele. Dafür habe ich mir eine Excel-Tabelle nach den für mich wichtigsten Kriterien angelegt. Außerdem nutze ich ein Analysetool für Angreifer. Aber ich habe im Gegensatz zu Trainern wie Oli nach Turnieren auch die Zeit dazu. Ich betreue kein Team im Tagesgeschäft und kann in Ruhe die Saison aufarbeiten.“
 
Lang: „Olaf hat mir seine Auswertungen auch schon zur Verfügung gestellt. Wo gibt es das noch im Sport, dass der gegnerische Trainer dem anderen nach einem Finale seine Spielanalyse schickt? So viel zum Thema Freundschaft. Ganz nebenbei habe ich gedacht: Hui, das hättest du auch mal selbst machen können. (lacht)“
 
Und trotzdem, man sieht, dass ihr beide zwar als Trainertypen unterschiedlich seid, aber beides erfolgreich sein kann.
Neuenfeld: „Ich hätte nichts dagegen, wenn wir uns auch in diesem Finale wiedersehen.“
 
Lang: „Ich würde das sofort unterschreiben. Ich freue mich auf die WM, auf das Drumherum und auf die Zeit in Mannheim. Es gibt keinen Grund, nicht hinzugehen.“
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