Serie mit Hansfried Heinrichs: Als die Begeisterung für den Faustball erwacht

Wurden bei der DM 1966 Deutscher Vizemeister: die Faustballer des TSV Pfungstadt um Hansfried Heinrichs (Mitte) (Foto: Faustball Weltweit)
Verfasst am 16. Februar 2021
Allgemein

Darmstadt (DFBL/ssp). Deutscher Meister, Europameister 1965, Faustball-Weltmeister 1968 als Spieler, jeweils drei Mal Welt- und Europameister sowie einmal World Games-Sieger als Bundestrainer: Über 20 Jahre bestimmt Hansfried Heinrichs das Faustballgeschehen mit, gewinnt in seiner Karriere alles, was es zu dieser Zeit zu gewinnen gibt. Sönke Spille hat ihn 2020 besucht – 60 Jahre nach seinem ersten Länderspiel und dem Beginn seiner Karriere im internationalen Faustball. Heute, Teil 1: Faustballerische Anfänge und Erfolge im Verein.

September 2020: Die Sonnenstrahlen kämpfen sich durch die Wolken, als ich mein Auto am Dienstagmorgen kurz vor 10.30 Uhr in einer Seitengasse in Darmstadt-Eberstadt parke. Das Thermometer hat bereits die 18 Grad erreicht. Es verspricht ein schöner Spätsommertag zu werden – auch wenn für den Abend Regen vorausgesagt wird. Vom Auto sind es nur wenige Schritte, bis ich mein Ziel erreicht habe. Hinter mir fährt eine Straßenbahn, als ich die Klingel am Gartentor drücke. Kurz darauf öffnet sich die Tür zum Haus. Ein großer, schlanker Mann kommt den gepflasterten Weg entlang. Er öffnet mir die Tür. Kurz darauf sitzen wir beide am Gartentisch und sind schon in unser Gespräch vertieft. Nicht verwunderlich: Schließlich hat Hansfried Heinrichs, Spieler des ersten Faustball-Europameisters und Faustball-Weltmeisters und späterer Bundestrainer, so manche Geschichte zu erzählen, die mich sofort fesseln.

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Begonnen hat alles im Darmstädter Hochschulstadion während Heinrichs Schulzeit. „Das war meine zweite Heimat. Ich habe dort schon während der Schulzeit mehr Zeit verbracht als in der Schule“, erinnert sich der Darmstädter. „Wir hatten damals Schichtunterricht und wenn dieser nachmittags war, dann habe ich am Vormittag im Stadion geschaut, was dort so los ist.“ Dabei fallen dem Schüler einige Polizisten auf, die dort Faustball spielen. „Ich habe damals einfach gefragt, ob sie noch jemanden brauchen und ich mitspielen darf.“ Er darf. Es dauert nicht lange, da lernt er mehrere Faustballer kennen, die im Verein, der TSG Darmstadt, aktiv sind. „Irgendwann haben sie erzählt, dass sie am nächsten Tag ein Turnier spielen und gefragt, ob ich nicht Lust hätte, auch mitzuspielen.“ In Stromberg (Hunsrück) spielt Heinrichs sein erstes Turnier. „Wir sind mit dem Zug hingefahren und wurden im zehn Kilometer entfernten Bingen von einem Faustballer in seinem alten Lloyd abgeholt. Hier passten nur zwei, drei Leute rein – und sind so im Shuttle nach Stromberg gefahren.“

Es soll nicht das letzte Faustballturnier gewesen sein, an dem Hansfried Heinrichs mit der TSG teilnimmt. Auch als 1961 die erste Bundesligasaison startet, ist der damals 17-Jährige dabei. Die Liga ist da noch viergeteilt, Darmstadt tritt in der 1. Bundesliga Süd-West an. „Die Pfungstädter waren schon damals mit Abstand die Besten“, erinnert sich Heinrichs. „Der Opa von Patrick Thomas war ein sehr guter und erfahrener Schlagmann. Wir sind dahinter Zweiter geworden.“ Mit diesem zweiten Platz qualifizieren sich die Darmstädter für die Deutsche Meisterschaft. Doch es gibt Streitigkeiten zwischen den TSG-Faustballern. Der Grund: Hansfried Heinrichs spielt nebenbei auch noch Handball – und der hat beim jungen Angreifer Vorrang. „Ich war deshalb nicht immer beim Training und das hat nicht allen gepasst“, erinnert er sich. Heinrichs hört auf.

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Die Darmstädter TSG ist noch heute mit zwei Männermannschaften im Faustball-Spielbetrieb in Hessen aktiv. Es ist ein bunter Haufen von Faustballern – vom Studenten bis zum Familienvater – die allesamt ihre Freizeit unheimlich gerne auf und neben dem Faustballplatz verbringen. Welch eingeschworener Haufen sie sind, haben sie nicht zuletzt beim Bau eines eigenen Faustballplatzes bewiesen. Und sie freuen sich über Interessierte und Gäste – wie mich, der bei den Besuchen seiner Freundin, auch schon so manche Trainingseinheit mit den TSG-Faustballern verbracht hat. Ein Höhepunkt in jedem Jahr ist das Woogwiesenturnier – an dem auch Hansfried Heinrichs zu seiner Zeit bei der TSG teilgenommen hat. „Ich musste dort einmal in der zweiten Mannschaft spielen. Im Halbfinale haben wir dann unsere „Erste“ rausgeworfen“, lacht er. 

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Es sind seine letzten Spiele im TSG-Trikot. Den Faustball verstaut Heinrichs für zwei Jahre in seinem Schrank – bis er eines Tages von einem Lehrer Becker aus Pfungstadt Besuch bekommt. „Es muss 1964 gewesen sein, als der Opa von Patrick Thomas beim TSV Pfungstadt aufgehört hat. Und ohne Schlagmann war in Pfungstadt nichts los.“ Heinrichs wird gefragt, ob er beim TSV wieder mit dem Faustball beginnen möchte. „Die Mannschaft, die sie hatten, war stark. Es fehlte nur ein Schlagmann.“ Bei einem Turnier in Kelkheim (Taunus) läuft er zum ersten Mal im Pfungstadt-Trikot auf. Der TSV gewinnt. Es ist der Anfang einer erfolgreichen Zeit für Heinrichs.

„Die Mannschaft bestand aus sehr erfahrenen Abwehrspielern, ich war der Jüngste im Team“, erzählt Hansfried Heinrichs. Bei seiner ersten Trainingseinheit kommt er sich vor wie im falschen Film. „Ich wusste überhaupt nicht, was los war“, erzählt der Darmstädter. „Ich hatte noch gar nichts gesagt, da war ich der Chef und wurde um Rat gefragt.“ Eine ungewohnte Situation für den eigentlich zurückhaltenden Jung-Angreifer. „Der Schlagmann war für sie immer der große Dominator, für den sie alles gemacht haben – auch den Ball holen, obwohl ich eigentlich viel dichter dran gestanden habe. Mich hätte nicht gewundert, wenn sie auch noch meine Tasche getragen hätten.“

1965 bestreitet Heinrichs seine erste Deutsche Meisterschaft mit den Pfungstädtern und belegt Platz sieben. Doch bereits in den beiden folgenden Jahre schaffen es die Hessen, sich den Vizemeistertitel zu sichern – 1968 und 1969 krönen sie sich in Ludwigshafen und Bremerhaven dann zum Deutschen Meister. Auch in den folgenden Jahren ist der TSV DM-Dauergast, Heinrichs sammelt weitere Medaillen. „Das Turniergeschehen war damals die Hauptsache. In der Bundesliga hatte man nur drei, vier Spieltage auf dem Weg zur Meisterschaft. Wichtiger waren die Turniere – und da haben wir eigentlich an jedem Wochenende an einem teilgenommen“, sagt Hansfried Heinrichs.

Doch es sind die Erfolge bei den Meisterschaften die dafür sorgen, dass sich der TSV auch international einen Namen macht. 1969 trägt der TSV den Faustball-Europacup auf seiner Anlage aus und belegt Platz drei, 1970 feiert die Truppe in Bozen (Italien) den Titelgewinn. Damit haben sich Heinrichs und Co. auch für die europäischen Titelkämpfe der Vereinsmannschaften ein Jahr später qualifiziert, die in Hirschfelde (DDR) stattfinden. Auch wenn man sich dem SV Siemens Nürnberg geschlagen geben muss und „nur“ Platz zwei belegt – die Reise hat Heinrichs noch immer in bester Erinnerung. „Wir durften ausnahmsweise mit dem Auto quer durch die DDR fahren. Ich habe mich mit meinem Wagen nicht unbedingt an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten und bin über die Autobahn gerast, als vor mir plötzlich ein riesiges Loch aufgetaucht ist.“ Der Schock steckt Heinrichs zunächst in den Gliedern, ehe er sich für die restliche Fahrt entscheidet, doch die vorschriftsmäßigen 100 km/h zu fahren.

1975 feiert Hansfried Heinrichs mit den Pfungstädtern in Mannheim noch einmal einen Deutschen Meistertitel – dann macht er Platz für einen aufstrebenden Angreifer aus dem Hause Thomas: Dieter, Sohn von Helmut Thomas.

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Wenn ich einen Blick in die Historie werfe, sind es wohl vier Angreifer, die den TSV Pfungstadt geprägt haben. Neben Hansfried Heinrichs haben sich Helmut, Dieter und Patrick Thomas einen Namen gemacht, die mit dem TSV nicht nur an Deutschen Meisterschaften teilgenommen, sondern auch Titel gewonnen haben. Von den dreien habe ich nur Patrick spielen sehen, beziehungsweise bei einer U14-DM in Wardenburg schon einmal gegen ihn gespielt. Anders ist es bei Hansfried Heinrichs: Gegen Helmut Thomas hat er zu Beginn seiner Karriere gespielt, mit Dieter zusammengespielt und ihn trainiert und Patrick als Zuschauer von der Tribüne beobachtet. „Patrick ist der stärkste von ihnen“, legt sich Heinrichs fest. „Auch Dieter war stark, hat aber viel von seiner Kraft gelebt, auf die er sich manchmal zu sehr verlassen hat. Man musste ihn immer zwingen, dass er auch die Lücken sucht. Patrick spielt dagegen unglaublich intelligent und setzt seine Kraft genau richtig ein.“

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Mit dem DM-Titel 1975 hatte Hansfried Heinrichs seine Faustball-Karriere eigentlich beendet – neun Jahre später kehrt er aber noch einmal aufs Spielfeld zurück. Als 1984 die Deutsche Hallenmeisterschaft in Darmstadt stattfindet, lässt sich Heinrichs von Dieter Thomas überreden, noch einmal die Faustballschuhe zu schnüren. „Dieter hatte immer das Problem, dass ihm ein zweiter Schlagmann im Team gefehlt hat.“ Heinrichs übernimmt den Posten als Zweitangreifer. „Für Sport war ich damals schon etwas betagt. Es war eine Ausnahme“, sagt er. Der Plan von Dieter Thomas geht übrigens auf: Pfungstadt wird – mit Zweitschläger Hansfried Heinrichs – Deutsche Meister.

Nicht nur mit dem TSV Pfungstadt ist Hansfried Heinrichs in seiner Karriere erfolgreich. Auch mit der Deutschen Nationalmannschaft gewinnt der Darmstädter Titel um Titel. 1965 wird er in den Kader zur ersten Europameisterschaft überhaupt berufen. Doch, um auch wirklich dabei sein zu können, bekommt er im Vorfeld eine kuriose Aufgabe gestellt. Welche das war, verrät er in Teil 2.

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