Eichhörnchen im Höhenflug
Nachstehend ein Bericht des „Gäubote Herrenberg“: Faustball: Deutsches Nationalteam macht in der WM-Vorbereitung im Herrenberger Waldseilgarten Station Wir sind bereit!“, ruft Lukas Schubert – und rennt los. Für seine Mannschaftskollegen ist der Schlachtruf der Nationalmannschaft gleichzeitig das Startkommando.
Augenblicklich setzen sich sieben der besten deutschen Faustballer in Bewegung – in die andere Richtung. Per Muskelkraft und Schnelligkeit wollen sie ihren Angreifer an einem Seil in die Höhe ziehen. Und ihm damit nicht nur einen einmaligen Flug ermöglichen, sondern auch einen tollen Ausblick gönnen. Einen, den sonst nur Eichhörnchen genießen dürfen. Deshalb heißt diese Station im Herrenberger Waldseilgarten „Das fliegende Eichhörnchen“.
Die Truppe um Bundestrainer Olaf Neuen feld hat sichtlich Spaß an der ungewöhnlichen Abwechslung im Wald. Dennoch steckt eine ernste Absicht hinter der Veranstaltung. „Der Ausflug hierher soll noch einmal ein Highlight vor den anstehenden Titelkämpfen sein, uns enger zusammenschweißen und einen zusätzlichen Motivationsschub bringen.“ Vom 7. bis zum 14. August geht es in Österreich um die WM-Krone. „Und wir wollen zumindest ins Finale“, formuliert Neuenfeld das ambitionierte Ziel. Um letztlich ganz oben auf dem Treppchen zu stehen, müssen allerdings die anderen favorisierten Teams aus der Schweiz, Argentinien, Brasilien und der Gastgeber Österreich bezwungen werden.
Gleiches gilt auch für die Station „Jakobsleiter“. „Wer glaubt, das sei einfach, täuscht sich gewaltig“, meint Andreas Feil mit einem Schmunzeln. Der Waldseilgarten-Initiator und Erlebnispädagoge hat schon viele Gruppen mit dieser scheinbar simplen Aufgabe kämpfen sehen. Zweier- oder Dreierteams müssen eine meterhohe Sprossenleiter aus dicken Balken hinaufklettern. „Das Fiese daran ist: Die Abstände der Holzbalken werden nach oben immer größer. Und die Leiter schwankt hin und her“, nennt Feil die Tücken.
Unter den ersten mutigen Vorturnern, die sich dieser Herausforderung stellen, sind Angriffsspezialist Steve Schmutzler und Abwehrstratege Christian Kläger. Anfangs geht es schnell nach oben. Bald schon stoßen beide allerdings mit ihrer Strategie des gegenseitigen Hochdrückens an die Grenzen.
„Das wackelt ja extrem!“, stellt Steve Schmutzler mit zunehmender Höhe fest. Die Mannschaftskameraden quittieren Wack –
ler der beiden mit „Abbrechen“-Ru fen.
Oben auf den Bohlen kehrt kurz vor dem Ziel allerdings wieder Ernst ein. Jetzt wäre so ein Typ wie Mac Krüger gefragt. Der Offensivhüne misst stolze 1,97 Meter und besitzt darüber hinaus eine imposante Spannweite – und er ist mit seiner Armlänge der perfekte Stabilisator. Während er die Balken greift, können sich Zuspieler Fabian Sagstetter und Abwehrrecke Olaf Machelett mit der guten alten Räuberleiter Sprosse um Sprosse nach oben arbeiten. „Alleine kommt man nie oben an“, fasst Krüger hinterher seine Erfahrungen treffend zusammen. Deshalb ist die Jakobsleiter auch ein gutes Sinnbild für die Mission WM-Titel. „Nur wenn jeder wirklich für jeden kämpft und alle an einem Strang ziehen, kann solch ein Unterfangen glücken“, erklärt Feil.
Er hat zuvor die Truppe ans Trapez gebeten. Jeder Wagemutige muss über eine Strickleiter eine Plattform in luftiger Höhe erreichen. Dann gilt es, ein Holztrapez in gehörigem Abstand zu fassen zu bekommen – die Entfernung legen die Teamkameraden per Seil von unten fest. So oder so: Ohne Sprung geht es nicht. „Deshalb bleibe ich lieber mit beiden Beinen am Boden“, sagt Michael Marx. Er ist nicht der Einzige, der kein Freund höherer Gefilde ist. So wie der routinierte Abwehrspezialist setzt auch Teamchef Neuenfeld lieber auf stabiles Erdreich unter den Füßen. Steve Schmutzler dagegen traut sich hoch – und sorgt für die einzige Schrecksekunde an dieser Station: Der Angreifer springt, greift zu – und rutscht wegen seiner feuchten Hände ab. „Verdammt!“, ärgert sich der ehemalige Bundeswehroffizier. „Halb so wild!“, meint er hinterher, „ich habe mich trotz allem sicher gefühlt.“ Schließlich haben die Teamkameraden das Sicherungsseil fest in der Hand behalten.
Völlig ohne eigenes Augenlicht müssen Verteidiger Sascha Ball, Angreifer Patrick Thomas und Co. am Anfang der Einheit im Waldseilgarten auskommen. „Unsere Aufgabe lautete, blind einen Fußball ins Tor zu bugsieren“, erklärt Co-Trainer Christian Löwe. Mindestens genauso spannend wie die praktische Umsetzung ist für den Trainerstab das Auffinden des Lösungsweges: „Es war klasse zu sehen, wie das Team das gemeinsam in einem Diskussionsprozess gemeistert hat“, erklärt Neuenfeld. Auch Feil ist mit dem Ergebnis sehr zufrieden: „Das war bisher mit der pfiffigste Ansatz. Denn bei uns ist der Weg sehr oft das Ziel.“ Per Klatschkommandos – Reden ist tabu – von Chef Neuenfeld formiert sich das Team zur Kette. Dann wird das Leder eingekreist – und Stück für Stück gemeinsam ins Tor bugsiert.
„Leider haben wir insgesamt wenig Zeit gehabt, tiefer in einzelne gruppendynamische Prozesse einzutauchen“, sagt Feil, „daher war ein intensiveres Kennenlernen, der Gruppe nicht möglich.“ Den Faustballern indes hat der Vormittag im Waldseilgarten Spaß bereitet. „Das war wirklich eine sehr gelungene Sache“, schwärmt Zuspieler Marco Lochmahr stellvertretend für seine neun Spielerkollegen der deutschen Nationalmannschaft: „Wir sind bereit. Jetzt kann die WM kommen.“ SVEN GRUBER